Es gibt Dinge auf dieser Welt, die ziemlich unspektakulär sind. Tee ist eines davon. Aufgebrühtes Wasser, das im besten Fall nach Minze, im schlimmsten Fall nach Apfelstrudel oder Lebkuchen schmeckt. Im Winter ist Tee gut, um sich aufzuwärmen oder um seinen Wasserhaushalt mit etwas anderem aufzufüllen als mit Kaffee. Wenn man krank ist, trinkt man Kamillentee oder Fenchel-Anis-Kümmel. Das kann ich nachvollziehen. Was ich nicht verstehe, ist, warum um Tee so viel Aufhebens gemacht wird, wo er im Grunde doch eine recht fade Geschichte ist. Menschen, die aus unerfindlichen Gründen abends in der Kneipe einen Tee zum Preis eines besseren Rioja trinken, bestellen Red Temptation oder Honeymoon Kiss. Warum nicht einfach die Dinge beim Namen nennen? Einen Weißwein, der sichFrühlingsserenade nennt, lasse ich auch lieber im Supermarktregal stehen, weil er mir suspekt ist. Begonnen hat diese Aufladung von Tee mit Sinn mit Steffi Graf. Seit sie die Botschafterin der Linie Harmonie für Körper und Seele ist, trinkt man keinen Tee mehr, sondern holt sich Kraft oder schöpft innere Ruhe. Steffi Graf, altgedientes Mauerblümchen, das sie ist, transportiert dabei genau jenes Lebensgefühl, das mich vielleicht an Tee abschreckt: bewusste Ernährung, Selbstoptimierung, das permanente Kreisen um die Frage, was gut für einen ist und was nicht. Nicht gerade Rock ’n‘ Roll, das alles. Und auf einmal ist Tee nicht mehr einfach Tee, sondern Allheilmittel gegen Lethargie, mangelndes Selbstbewusstsein, Stress. Was für absurde Blüten die Vorstellung treibt, man könne Wohlbefinden in Form von Tee konsumieren, zeigt ein Blick ins Supermarktregal: Die Ländertees Persischer Bazar und Türkischer Bayramverheißen, die Sehnsucht nach dem Fremden, dem Exotischen mit einer Tasse Tee zu stillen. In der Produktbeschreibung liest sich das folgendermaßen: „Wenn die ersten Sonnenstrahlen das Morgenland in goldenes Licht hüllen, herrscht auf dem Bazar bereits geschäftiges Treiben. Dies ist der Ort, an dem feine Gerüche, exotische Geschmäcker und leuchtende Farben die Sinne betören. Davon beflügelt, kreierten unsere Tea-Master die Spezialität Persischer Bazar, einen Früchtetee mit dem Geschmack nach Kaktusfeige und Zimt, wie geschaffen für orientalische Genussmomente.“ Abwechslung an den Frühstückstisch bringen der SpanischeCataluna Orange Traube-Tee für „sonnig-temperamentvolle Genussmomente“, derSüdamerikanische Inka Orange-Gewürze-Tee für einen „faszinierenden Genuss-Moment“ und der Karibische Tropicana Ananas-Kokos-Tee für einen 2fruchtig-exotischen Karibiktraum“. Die geistige Dekolonialisierung scheint an den Tea Mastern vorbeigegangen zu sein. Wer es etwas bodenständiger will, hält sich besser an den Feinsten Ostfriesen-Tee, der die „typische ostfriesische Gelassenheit“ garantiert, oder den Landlust Holunder-Stachelbeere-Tee wie bei Großmuttern. Oder lässt das Liebesleben zu wünschen übrig? Wie wäre es mit einer TasseHeiße Liebe? Diesen aromatisierten Albtraum so zu nennen, scheint mir, gelinde gesagt, euphemistisch. Ich weiß, das ist nun mal Produktmarketing, das gibt es bei allen möglichen Lebensmitteln. Aber bei keinem Konsumartikel klaffen Realität und Zuschreibung so weit auseinander wie bei Tee, der bei allen tollkühnen Umbenennungen doch stets nur heißes Wasser mit Geschmack ist. Warum das ein großes Ding sein soll, ist mir schleierhaft. Deshalb breche ich hier ab. Denn wovon man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen, hat mal ein kluger Österreicher gesagt, der bestimmt keinen Tee getrunken hat.
Text: Elisabeth Kimmerle Foto: Elise Graf