Die Fußnote: Pro Tee – An alle Banausen und Grobschlächter: Trinkt Tee!

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Siegessicher setze ich meine Dame auf H5, und damit den bösen schwarzen König ins Schach. Das Gefühl wohliger Überheblichkeit steht mir ins Gesicht geschrieben, als ich meine Lippen zu einem blasierten Lächeln verbiege. Ha! Darauf nun erstmal einen Schluck Tee: köstlich! Grün ist er, Geschmacksrichtung: Jasmin. Ich bekomme nicht genug und stecke meine Nase tief ins Innere der Rentiertasse. Knapp über dem atem-induzierten Wellenschlag lasse ich den Zinken kreisen und inhaliere: Einatmen, Ausatmen. Der noble Dunst benetzt meine Nasenspitze und benebelt meine Sinne. Schon wähne ich mich am Kaiserhof der chinesischen Tang-Dynastie; genau hier avancierte der Tee vor über tausend Jahren nämlich vom Medikament zum Genussmittel. Den nächste Schluck widme ich deshalb euch, hochgeschätzte Tangesinnen und Tangesen.

Manche Menschen meinen ja, Tee sei überschätzt und hätte außer einer homöopathisch dosierten Unkrautzutat vorwiegend eines zu bieten: nämlich langweiliges, warmes Wasser. Meine werten Damen und Herren, diesen Menschen kann ich nur äußerst verärgert und unter großem Bedauern mitteilen: Banausen! Grobschlächtig seid ihr wohl, geradezu ignorant zudem! Nur zu, trinkt eure bittere, schwarze Bohnenplörre und frönt meinetwegen auch dem Ekel klebriger Softdrinks. Knallen muss es, was? Bis die Synapsen explodieren, vor lauter Reizflut.

Ganz im Gegensatz dazu: Tee. Subtil im Geschmack, unaufdringlich in der Farbe und in seiner beflügelnden Wirkung wohldosiert – genau so, wie‘s die Synapsen gewiss gerne haben. Apropos beflügelnd: Springer auf E5; nun sitzt der gerettet geglaubte König schon wieder im Schach. Und apropos Schach: Manche Menschen munkeln ja, das Schachspiel sei ebenfalls, wie unser kostbarer Tee, in China ausklamüsert worden. Zugegeben, auch die Inder und Perser prahlen gerne mit dieser Kulturleistung; da erstere aber unter anderem schon das massentaugliche Curry und zweitere die hübsch-teuren Teppiche zustande gebracht haben, möchten sie nun beide bestimmt in aller Bescheidenheit den Nacken beugen und China das Spielfeld überlassen: Schach und Tee. Und bestimmt auch schon damals in genau dieser Kombination. Bereits die buddhistischen Mönche wussten um die konzentrationsfördernde Wirkung dieses edlen Stoffes: stundelang saßen sie und brüteten bei gebrühtem Tee über Tugend, Leid und, so muss es gewesen sein, auch Bauern und Türme. Eben so, wie ich es nun tausend Jahre später tue. In Form eines bemeißelten Metallklotzes sollte also folgendes der Ewigkeit verschrieben werden: Tee kann niemals über-, immer aber unterschätz werden. Er ist Teil eines jahrtausendalten, fortwährend tradierten Kulturkomplexes. Wer ihn schlürft, schlürft nicht Wasser und Kraut, sondern Weisheit und Bedeutungsgewebe, fein gesponnen und köstlich.

In diesem Sinne, und mit aller Entschlossenheit, Läufer auf B4: Schachmatt.

 

Text: Philemon Ender       Foto: Elise Graf