Die Fußnote: Pro Weihnachtsmarkt – Ein Hoch auf die gezielte Verklärung!

Es ist dieser wiederkehrende Moment, irgendwann Mitte November. Gedankenverloren durch die Freiburger Innenstadt wandelnd entdeckst du ihn plötzlich am Rande deines Blickfelds, wie er in den letzten Zügen des Aufbaus befindlich durch den spätherbstlichen Nebel scheint: Der erste Weihnachtsmarktstand der Saison. Unschuldig steht er da – Vorbote eines bald schon die Altstadtgässchen okkupierenden Mikrokosmos‘, der alljährlich diesem verromantisierten Kapitalismusschauspiel als Bühne dient.

Gerade willst du zu einem ausführlichen stream of consciousness ansetzen, in dem du pseudo-weltverbesserisch diese adventöse Konsumveranstaltung zerlegst, mit markigen Worten ihre heuchlerische Fassade zerschmetterst und so die markwirtschaftliche Fratze zum Vorschein bringst, die darunterliegt.

Im selben Moment fällt dir aber das Buch ein, von dem dir ein Freund erst vor Kurzem erzählt hat. „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“ heißt diese kleine Anekdotensammlung, in der sich Titanic-Kolumnist Max Goldt unter anderem mit dem Phänomen Weihnachtsmarkt auseinandersetzt. Den maßgeblichen Reiz dieser aus jeder deutschen Häuseransammlung mit ansatzweise überregionaler Bedeutung nicht wegzudenkenden Winterinstitution sieht er in dem erhebenden Gefühl „geführt von ruhigem, friedlichem Desinteresse“ daran vorbeizuschlendern.

Wie viel Wahrheit in dieser ironisch–philosophischen Beobachtung steckt, offenbart sich dir dann en paar Tage später beim ersten Passieren des glühweinumdünsteten, bretterbudenen Markts im Halbdunkel der hereinbrechenden Nacht. Solange man sich in sicherer Entfernung an dessen Peripherie bewegt, besteht tatsächlich die Chance ihn aufzuschnappen, diesen sprichwörtlichen Zauber, der sich seltsam selbstverständlich in einer spezifischen Mischung aus süßlichen Düften und feinsäuberlich arrangierten Lichterketten manifestiert und der dich zurückversetzt in eine Zeit, als der Weihnachtsmann für dich noch keine Erfindung der Werbeindustrie war, sondern ein in rotes Samt gehüllter, real existierender Superheld mit Wohlstandsbauch, wegen dessen heimlichem Paketservice du am 23.12. vor Aufregung fast nicht einschlafen konntest.

Dieser Zauber also, der dich, wenn du ganz ehrlich zu dir selbst bist, im sprichwörtlichen Vorbeigehen doch jedes Jahr wieder aufs Neue erfasst, dieser Zauber ist es doch, der jedem noch so vermarktwirtschaftlichten Weihnachtsmarktexemplar eine gewisse Legitimation verschafft. Das Innenleben mit all dem Trubel und Gedränge kann man getrost sich selbst überlassen. Die Kunst besteht darin, auf den fünf bis zehn Metern abseits verlaufenden Zauberpfaden zu wandeln und die positiven Vibes des Konsumspektakels einzusaugen. Plumpes Weihnachtsmarktbashing, das kann jeder – sich jedoch diesen Ort trotz all seiner Widersprüchlichkeiten ganz gezielt und nur für sich persönlich im großen Stil zu verklären, ihn zu einer fast schon unverschämt klischeebeladenen Idealvorstellung aufzubauen, um nur für ein paar Minuten still und heimlich in herrlich romantisierten Kindheitserinnerungen zu schwelgen – das ist genial, das ist raffiniert, das ist gelebte Antihaltung!

Plötzlich macht für dich alles einen Sinn. Es ist dieses erhabene Gefühl, das pralle, nikolausbemützte Geschehen zweckzuentfremden und für die eigene, von heimlich idealisierten Bildern einer heilen Weihnachtswelt ausgelöste Katharsis zu instrumentalisieren, die einen von der Tristesse des Alltags reinigt, mit der man sich das ganze Jahr über immer wieder konfrontiert sah. Dieses Gefühl scheint dir mangels ernsthafter Alternativen ohne den Weihnachtsmarkt doch kaum erreichbar und genau aus diesem Grund stellt es auch dessen ultimative Daseinsberechtigung dar – unbedingterweise und auf alle Zeit!

 

Text: Felix Schmälzle     Foto: Elise Graf