Warum Dirndl der bessere Ethno-Kitsch sind

Über Geschmack lässt sich ja angeblich immer streiten. Über solche Geschmäcker, die manchen Leuten taugen und anderen wiederum nicht, umso schöner. Das ist dann eine durch und durch positive Gruppenerfahrung, wie sie sonst nur Ringelreihen von Kindergartenkindern in Warnwesten erleben. In einheitlicher Harmonie lassen sich ästhetische Überzeugungen des geschmacklich Richtigen und moralisch Überlegenen ausbilden, wonach man die materiell aufgehübschte Erscheinung eines Gegenübers als Auskunft über dessen soziale Kompatibilität lese. Man sich ein gesellschafts-politisches Bild mache.

Weil Du, in deinem gemusterten Pulli aus Bolivien mir nicht nur sagst, dass Du eine grundsympathische Schlurfigkeit an den Tag legst, sondern dich durchaus auch mit den Indígenas solidarisiert, und das alles, was dich so an westlicher Konsumgeschichte umgibt auch gar nicht so ernst nimmst. Du weißt: das hier, das kann ja nicht alles sein auf der Welt. Oh Erkenntnis, erklettert auf dem gringo trail: Wenn es kratzt und piekst, dann muss es echt sein.

Die Ästhetik ist der Filter, durch den sich eine Welt inhalieren lässt. Bahnhöfe oder andere öffentliche Orte weltanschaulicher Schnittmengen bedienen darin nur den Ramschtisch, aus dem sich auch das nächste 90s-Revival zusammenklauben lässt. Hässlichkeit mag vergänglich sein, allein schon deshalb ist Folklore trendneutral und zeitlich isoliert der allerletzte Schrei.

Bahnhöfe sind aber auch Orte ernsthafter Fremdheitserfahrung. Wo sich Wege kreuzen, wird auch die zähe Kaugummimasse unserer Romantik in den Asphalt gewalkt: zur Zeit der Oktoberfeste sind sie wieder da, gestriegelt und aufgezäumt, die Dirndl-Mädchen und Lederhosen-Jungs. Sie sind auf dem Weg zu den Volksfesten des Landes, begegnen dem Label Tradition mit gewieften 20 Zentimetern über dem Knie und längst verselbstständigter Ironie um die Nasen. Was möchte man ihnen alles vorwerfen: Verkitschung von gefühliger Regionalität, wo Bayern die eklig (Anm. d Red.: Ekel als ethische Kategorie) nationalistische Blaupause gesamtdeutscher Identität bilden soll! Wozu das Kontakten auf den Bauernhöfen des 18. Jahrhunderts, die match-making im evolutionsbiologischen Sinne: Der Jäger hält die Riemen bereit, um sich die Beute nach getaner Arbeit um die Hüften zu schnallen. Rühren die aus den Büschen ragenden 11-jährigen Schienbeine nicht zu biersentimentalen Tränen der Kulturlosigkeit? Und die Musik im 4/4 Takt gleichgeschaltet, ist die nicht schon so sehr problematisch? Hopfengeflutete Massenhysterie, ein gutes Gefühl. Das Delirium eines Volks, und alle sind willkommen. Es ist, gewissermaßen, die Wiederherstellung eines Urzustands, eine Konzeption von Heimat mit Glitzerüberzug statt Semmelbröseltrockenheit, gegen die ich mich sträube, innerlich. Wie sich außen auf meinem Arm die Fasern der Alpaka-Wolle aufstellen.

Wie albern, möchte ich mich in die Seite knuffen, sollte nicht jeder seine kleine ästhetische Verklärung behalten dürfen? Das bisschen Hirschröhren, das halbe Hähnchen muss keine martialische Kampfbekundung sein – möglicherweise handelt es sich nur um die genügsame Friedfertigkeit eines begrenzten Horizonts. Gegenseitiges Einvernehmen schön und gut, aber das Einkleiden, das sich umgeben mit imaginiert Schönen und sinnstiftenden Dingen – ist es kein menschliches Bedürfnis und der Hang zu Exotikausstattung im Alltag nur eine andere Spielart desselben? Der Rest sind dann ästhetische Differenzen: Tausendundeine Nacht, zum Beispiel, das finde ich verwunschen und schön. Mein peruanisches Webtäschchen für Coca-Blätter unterwegs, schön praktikabel wie das Ethno-Design der schlanken Club-Mate. Die Mosaik-Döschen für einzelne Muskatnüsse und Safrankrümel aus Marokko – soo schön. Wehmütige Schwaden von Balkanbläsern, die mir von Osten her um die Ohren wabern – zum Heulen schön. Ausgefranste Wimpel und tibetische Flaggen, Westafrika in Rhythmus und Stoffbatik, das alles für mein Karma, meinen Soul – schön. Ich denke ethnisch divers in Sinti und Roma (-obwohl ich weiß dass ich fremd-selbstermächtigender Weise auch Gypsy sagen dürfte-) und kann mir große Ringe um die Ohren und bunte Bommel an die Tasche hänge, aus bloßem ästhetischem Wohlgefallen. Sie sind ureigenes Brauchtum, Anleihen aus der großen weiten Welt, eingesammelt auf meinen Reisen voll unbezahlbarer Erfahrungen. Ich finde, Bierzelt ist keine Erfahrung. Bierzelt ist irgendwie ranzig und vorbelastet, ideologisch und überhaupt.

Trotzdem, eine gewisse Tragik birgt die Situation: Seit der planet nicht mehr so lonely ist, wie es sich der Weltreisende auf der Suche nach dem echten, wahrhaftigen Leben wünscht, pflastert Enttäuschung den kaum mehr gefährlichen weil infrastrukturell ausgebauten Weg (heul doch: das WLAN in thailändischen Reisebussen funktioniert sogar besser als daheim, und von anderer Brust strahlt der gleiche Inka-Gott wie von meiner.) Infame Zufälle beschneiden die Individualität des Ur-Selbst, kränken den Wunsch nach einzigartigem Erleben zwecks Selbstfindung, drum soll an dieser Stelle Bedenken geäußert werden:

Warum verreisen? Zugang zur Kultur am Quell menschlicher Schöpfungskraft, wird er mir nicht auch daheim geboten? Wo alles so crafty sprich authentisch ist und auch haarig. Wo beiläufige Schuldgefühle, das Nord-Südgefälle auf Samtkissen runterzurutschen wie die Abertausenden von abenteuerlustigen Abiturienten vor und nach mir, um sämig gebettet in einer Schale kontinentalen Frühstücksbreis zu landen (mit ein paar Scheiben Kochbanane für den regionalen Bezug) ausbleiben. Wo selbst Bequemlichkeit keinen qualitativen Unterschied mehr macht. Ich nicht drohe, mich in pastelliger Kolonialladenästhetik weißer Damen zu verlieren, während die Limonadenkohlensäure beginnt, mir bitter aufzustoßen als hausgemachtes schlechtes Gewissen. Pfui Teufel – man sollte spucken auf immer diese moralisierte Ästhetik, sie verdient einen Schraubverschluss, einen luftdichten.

Da schau her: die Wiesnwirtschaft inszeniert es ausgelassen. Auch zu Hause lässt es sich total crazey sein, ohne Schamanentrunk bzw. die Notwendigkeit ausgewiesen verrückte Einheimische als persönlichen Animateure anzuheuern für eine wahrhaftig nachhaltige Erweiterung des Bewusstseins. Die Geschichten, die wir zu erzählen haben: sie sollen aus biergespülten Rachen sprudeln, der Hopfen und Malz nicht an uns verloren sein.

Es ist nur ein Gedanke, bei all den Echtheitszweifeln, für das Dirndl einzustehen und für die Lederhosen, die uns als natives menschlicher Urgewalt nahe bringen, heiter und versöhnlich: der überwältigenden Gruppenerfahrung kultureller Einsamkeit, dem Kernigen und Triebhaften, der getrockneten Kotze in unseren Armbeugen. Auf der Suche nach sinnstiftenden Alternativen und tiefer Verbundenheit mit Mutter Erde. Ich möchte mich einkuscheln in diesen Ethno-Kitsch, und sei mein Dirndl auch aus Polyester.

Text & Illustration: Vera Mader